Der Gebrauch des Menschen by Aleksandar Tišma

Der Gebrauch des Menschen by Aleksandar Tišma

Autor:Aleksandar Tišma [Tišma, Aleksandar]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-06-10T15:00:00+00:00


Zu dem Wiedersehen mit Vera gelangte Sredoje auf einem weiten Umgehungsweg, den er eingeschlagen hatte, weil er sich in seine unselbständige Rolle als Sohn fügte. Dieser Weg begann sechs Tage nach dem Kriegsbeginn mit dem Aufbruch aus Novi Sad, denn Vater Lazukić wollte die heranrückenden deutschen und ungarischen Truppen weder auf der Hausschwelle begrüßen noch ihnen seine Söhne zum Pfand geben. Schon immer lautstark in seinen Ausfällen gegen die Deutschen und das Deutschtum und gegen andere nichtserbische Nationen, welche die seinige zu unterdrücken drohten und dazu imstande waren, hatte Nemanja Lazukić die Annullierung des Paktes mit Deutschland in einer Rede vom Balkon des Rathauses gutgeheißen, gleich nach dem Chef seiner Partei, dem ehemaligen »Sokol«-Vorsitzenden Dr. Marko Stanivuk. Dabei glaubte er nicht, daß wirklich die Opfer gebracht werden mußten, die zu bringen er mit erhobener Faust vor den versammelten Bürgern gelobte, sondern vielmehr, daß dieses Gelöbnis den Feind in Berlin, in Budapest und Sofia verwirren und entmutigen würde, und in dem Sinne beruhigte er auch seine besorgte Frau nach der Heimkehr vom Bankett. Als später dennoch, begleitet vom verspäteten Sirenengeheul, die regelmäßigen Formationen der silbernen deutschen Flugzeuge am Himmel erschienen, war er nur für einen Moment fassungslos, um kurz darauf im stillen trockenen Keller, wohin er sich mit der Familie geflüchtet hatte, mit prophetisch emporgerichtetem Blick zu erklären: »Das kommt sie teuer zu stehen. Ein Land muß man erst erobern, hier aber ist der serbische Soldat auf Wacht.« Nach der Entwarnung ging er in die Stadt und kehrte mit einer Gasmaske und der Nachricht von der Bombardierung Belgrads zurück. »Das ist im Grunde gut, es wird den Haß des Volkes schüren.« Er packte Handtuch und Rasierzeug in eine Tasche, denn er hatte sich zum Dienst im Stab der Zivilverteidigung gemeldet, als Adjutant des Kommandeurs, eines Hauptmanns der Reserve. Dort weilte er Tag und Nacht, meldete sich nur telefonisch, einmal mit der Nachricht, die jugoslawische Armee sei weit nach Bulgarien vorgedrungen. Aber entgegen dieser Behauptung füllten sich die Straßen der Stadt mit Soldaten auf dem Rückzug, die auf den Gehwegen saßen, mit der Bitte um Wasser an die Haustüren hämmerten, und durch ihre in Auflösung begriffenen Reihen bahnte auch er sich schließlich den Weg nach Hause, fast ebenso verkommen und erschöpft wie sie. »Verrat«, sagte er. »Wir müssen fliehen. Natürlich nur vorübergehend, denn am Ende werden wir siegen wie im letzten Krieg.« Er holte die Koffer vom Schrank in der Abstellkammer und beauftragte seine Frau, alles einzupacken, was er und die Söhne für eine längere Zeit der Abwesenheit brauchten. »Du, mein Herz, wirst hierbleiben müssen«, erklärte er, während er ihr die Hand auf die Schulter legte und ihr in die Augen blickte. »Du wirst unser Haus hüten, bis wir zurückkommen, und das wird bald sein.« Auf der Suche nach einem Transportmittel ging er in die Stadt und blieb lange weg, schließlich kam er mit Jovan wieder, dem älteren, breitschultrigen Taxifahrer, der ihn gelegentlich zu Verhandlungen in die umliegenden Städte chauffiert hatte, wies auf die in der Diele stehenden Koffer und begab sich zum Umziehen in sein Zimmer.



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